Sinnzentrierte Psychotherapie
Frau C kommt mit einem Anliegen, wie es viele Menschen vorbringen, wenn sie Rat und Hilfe suchen: Sie hat Angst. Man muss dann genau hinschauen, ob Angst wirklich die Grunderkrankung ist oder nur ein Problem begleitet, dessen Kern woanders liegt. Denn Angst ist bei fast allen psychischen Störungen eine zusätzliche böse Begleiterin.
So war es auch bei Frau C. Sie kam herein, jung und schlank und hübsch und nett, saß aber sofort höchst verkrampft kerzengerade vor mir. Viel Angst hat sie, es sind nämlich Gedanken in ihr, die sie einfach nicht beherrschen kann. Sie weiß nicht, ob sie „noch ganz richtig im Kopf“ ist, sie denkt so entsetzliche Sachen, sie findet das alles nur furchtbar, aber sie kann es nicht abstellen. Es ist einfach verrückt. Sie sieht bei ihrem Vater daheim Messer liegen und hat Angst, dass sie eines nimmt und jemanden ersticht. Sie fährt mit dem Auto zum Einkaufen und denkt, vielleicht überfährt sie die Frau dort drüben. Mit ihrem Partner hat sie ein Haus gebaut, aus dieser Zeit hängt noch eine Axt in der Garage. Sie sieht das Beil und fürchtet, dass sie damit die Nachbarin mit ihrem Kind im Kinderwagen erschlagen könnte. Manchmal denkt sie, sie könnte jemandem eine Flasche über den Kopf hauen. Sie findet das alles nur furchtbar und will das nie und nimmer tun, aber diese Gedanken kommen und herrschen über sie. Sie ist völlig verzweifelt, warum ist das so, warum denkt sie solche entsetzlichen Sachen, die sie nie, nie, nie tun will?
Warum ist das so? Eine drängende Frage, auf die es im Letzten keine sichere Antwort gibt. Man nennt ihre Gedanken „Zwangsgedanken“, weil sie sich ihr einfach aufzwingen. Woher sie kommen? Einen Teil der Schuld daran tragen wahrscheinlich ihre Gene, einen anderen vielleicht ihre Persönlichkeitsstruktur, möglicherweise hat die Erziehung samt ihrer Lebensgeschichte mit hineingemischt und der Stoffwechsel in ihrem Gehirn wird auch einen Anteil daran haben. Vielleicht ist es ein Gemenge aus allem, aber im Letzten ganz sicher erklären kann es ihr heute noch niemand. Ich sage ihr, sie kann genauso gut denken, dass sie halt ein Mensch ist, den solche Gedanken anfliegen. Wenn solche ungebetenen Gäste auftauchen, dann soll sie sich am besten gar nicht dagegen wehren, sondern sie munter hereinbitten: „Hereinspaziert, kommt nur alle herbei, ich sammle solche seltsamen Tierchen wie euch. Aber leider habe ich wenig Zeit und werde euch wohl schon bald in den Papierkorb werfen …“ Sie starrt mich verdutzt an – und ich erzähle ihr vom Menschenbild, das V. Frankl entwickelt hat. An den drei Dimensionen des Menschseins, die er beschrieben hat, interessiert uns besonders, dass die geistige Dimension des Menschen das eigentlich Humane ist. Zu ihr gehört unsere Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, Stellung zu beziehen. Das ist immerhin als eine Stufe mächtiger anzusehen als die psychische Dimension, in der unsere Gedanken und Gefühle zuhause sind. Das bedeutet: Die Zwangsgedanken können ruhig herbeifliegen, wie es ihnen beliebt, sie gehören zur psychischen Dimension, sie sind „nur“ Gedanken. Die Angst ist auch „nur“ ein Gefühl, wenn auch ein scheußliches.
Richtig interessant ist für uns die geistige Dimension; sie zeichnet das aus, was wir als unverwechselbare Person sind. Hier sind wir Herrscher und Könige, hier beschließen wir, was wir mit Gefühlen und heranfliegenden Gedanken machen. Diese Überlegung bekommt bei Frau C ein bleibendes Gewicht.
Ich sage ihr noch, dass Zwangsgedanken recht häufig sind, zur vermutlich vierthäufigsten der psychischen Erkrankungen gehören, das ist – leider – gar nichts Besonderes. Spannend ist nur, was man mit den Gedanken macht, wenn sie so daher geflattert kommen. Dafür werden wir uns etwas ausdenken, das kann heiter werden! Frau C ist erleichtert, sie hatte gedacht, sie sei die einzige mit so schrecklichen Gedanken.
Das ist sie nicht.
Ich erzähle Frau C von der Methode der Paradoxen Intention. Ein Grundgedanke dabei ist, dass man nicht ein und dasselbe im gleichen Moment herbeiwünschen und fürchten kann. Es funktioniert auch nicht, dass wir im gleichen Moment über dasselbe lachen und vor ihm Angst haben. Das sind sich gegenseitig ausschließende Gefühle hinsichtlich einer bestimmten Sache in einem bestimmten Moment. Und eben das können wir uns zunutze machen. Frau C kann entweder Angst haben, dass sie die Nachbarin mit der Axt erschlägt – oder sie kann den Gedanken humorvoll übertrieben herbeirufen. – Wenn sie also eine Wahlmöglichkeit hat, ja dann würde Frau Clieber die Angst abwählen. Also denken wir uns ein paar humorvolle Paradoxien aus. Wie wäre es damit, zum „Axtmonster“ ihres Dorfes zu werden? Sie könnte vorerst damit beginnen, ihre eigene Straße zu entvölkern, nur erstmal als Anfang. Oder will sie lieber mit der Flasche trainieren? Wie viele Leichen schafft sie mit einer einzigen Bierflasche? Sollte sie lieber eine Mineralwasserflasche nehmen?
Sie schmunzelt – nicht viel, aber ein kleines bisschen. Und dieses kleine bisschen Schmunzeln soll den ersten Stein aus der Mauer ihrer Zwangsgedanken herausbrechen.
Diese Paradoxien schauen im ersten Moment wirklich haarsträubendaus; soll hier jemand zum Mörder werden? Ist so ein Vorgehen in einer psychotherapeutischen Praxis nicht moralisch fragwürdig? — Das ist es dannnicht, wenn man bedenkt, dass dieses paradoxe Vorgehen eine Spiegelfechterei jenseits der Wirklichkeit ist. Das wahre Wollen („Bloß nie jemandem schaden!“) wird beim Verwenden der Paradoxen Intention nicht angetastet: Der Kranke tut einem anderen gerade deswegen nichts an, weil exakt das der Inhalt seiner größten Angst ist. Daher stellt sich der paradoxe Wunsch einer irrationalen Zwangsvorstellung entgegen und nimmt ihr alle Ernsthaftigkeit. Humorvoll übertriebene Schrecklichkeiten als Hilfe gegen eine Krankheit, die den Patienten enorm quält.
Was das „Entvölkern ganzer Häuserzeilen“ betrifft, so ist es dermaßen weit von jeder Wirklichkeit entfernt, dass es mit einem pathologischen Morden nicht im Geringsten zu vergleichen ist. Im Gegenteil, das überbordende Übertreiben sprengt die Realität und lädt zum Schmunzeln ein: ein erster Schritt aus dem Gefängnis der Zwangsideen. So geht Frau C mit dem festen Entschluss, den nächsten Zwangsgedanken freudig willkommen zu heißen und dann ein erstes Parodieren zu versuchen.
Als sie das nächste Mal kommt, ist sie allerdings eher noch verschüchterter: Sie hat sich vorgestellt, wie sie mit der Axt Menschen erschlägt und hat sich Bilder mit viel Blut dazu ausgemalt, es war zutiefst gruselig. Genau davor schreckt sie ja zurück. Hier muss ich schnell bremsen, ein verbissen vorgestelltes Blutbad ist wirklich zum Fürchten. Ihr Fehler hier war ihr verbitterter Ernst, mit dem sie einen Mord ausschmücken wollte – daran war kein bisschen Humor und wirklich nichts zum Lachen. Die Paradoxe Intention dagegen lebt vom Humor, vom maßlosen Übertreiben ins Lächerliche.
Dabei zieht aller Zwang, alle Angst den Kürzeren und zerbirst schon vor ei-
